Liebe Freunde, eigentlich sollte hier Teil 5 unseres Reiseblogs beginnen. Und keine Sorge, dieser kommt auch noch. Aber zunächst muss ich von den bisher belastendsten, dramatischsten und schwierigsten Momenten dieser Reise berichten. Und deren unglaubliche Folgen.
Update: als ich diese Zeilen schrieb, ahnte ich noch nicht, dass es noch schlimmer kommen würde. Bericht folgt… 🤢
Es ist Tag 51 unserer Reise. Wir befinden uns in Kirgistan. Nur noch wenige hundert Kilometer trennen uns von Osch und somit dem Beginn meines großen Reisetraumes, des Höhepunktes dieser Reise, dem Pamir, dem Dach der Welt. Seit ich Kind war, ist dies ein nicht realisierter Reisetraum. Wir befinden uns an diesem Tag auf einer Hochebene im Tien-Shan-Gebirge, dem Himmelsgebirge der Kirgisen, auf über 3000m NN.Bei brutalem Sturm haben wir am Vortag einen 3400m hohen Pass überquert und eine Nacht am Song-Kul, einem riesigen Gebirgssee, in unglaublicher Kulisse verbracht. Es ist so unfassbar schön, dass einem die Worte fehlen. Wir wollen diesen See etwa zur Häfte umrunden, um dann über einen weiteren Paß weiter nach Osch zu fahren. Dort erwarten wir die dringenden Ersatzteile aus Deutschland.
Die Piste wird immer schlechter, stellenweise geht es nur mit Untersetzung und Differentialsperre weiter. Und plötzlich ist da ein neues Geräusch. Es ist nicht so, dass wir nicht täglich neue Geräusche an unserem Fahrzeug entdecken. Aber dieses lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigt, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich halte an, steige aus, und: viel schlimmer geht es nicht. Der Rahmen ist an 3 Stellen gebrochen. Die hintere Hälfte mit der Kabine droht komplett abzubrechen. Dies wäre nicht nur das Ende unserer Reise. Es wäre auch das Ende unseres Autos.
Wir sind schlagartig hilflos und vor allem völlig auf uns selbst gestellt. Es gibt im Umreis von gut 100 Kilometern keine Kommunikationsmöglichkeit. Die nächste Jurte mit Nomaden ist 8,4 Kilometer entfernt. Aber auch diese haben hier oben kein Internet, keinen Mobilfunk, nichts. Der nächste Ort, in welchem es eventuell ein Schweißgerät gibt, ist noch etwa 65 Kilometer entfernt; auf zum Teil grottenschlechter Offroadstrecke. Kurz gesagt: in diesem Moment sind wir am Arsch!
Nachdem der erste Schock überwunden ist, fahren wir im Schritttempo mehrere Stunden die 8,4km bis zu den nächsten Nomaden. Wir furten mehrere Flüsse und überwinden schweres Gelände. Aber es gibt keine Alternative. Bei jedem größeren Felsen oder Hügel reißt der Rahmen millimeterweise weiter ein. Jede Sekunde rechne ich mit dem großen Abknicken des Hinterteils. Am Nachmittag erreichen wir die kleine Jurtenansiedlung. Einen Nomadenfamilie versorgt von hier aus große Pferde- und Kuhherden und betreibt drei kleine Gästejurten. Mit Händen, Füßen und dem Google-Übersetzer auf dem Smartphone kommunizieren wir. Schnell steht fest: es gibt vor dem nächsten Dorf kein Schweißgerät und keinen Strom. Und es ist unmöglich, einen Fahrzeugtransporter zu bekommen, der uns über die Pässe trägt. Wir unterbauen unser Fahrzeug und stützen die Karosse mit Wagenheber und HiLift.
Was dann beginnt, ist eine unglaubliche Serie an Zufällen, die sich ein Romanschriftsteller so nicht ausdenken kann. Zunächst taucht am späten Nachmittag Evgeni aus Kirgistan in einem Toyota-Geländewagen auf. Er führt eine dreiköpfige französische Gruppe um den See, spricht sehr gut Englisch und kann somit dolmetschen. Und er sagt zu, uns am nächsten Tag als Helfer und Dolmetscher zur Verfügung zu stehen. Seine Reisegruppe muss alleine zu Recht kommen. Und noch unglaublicher: hier oben im absoluten Niemandsland, stranden am Abend zwei Wuppertaler mit russischen Wurzeln in ihrem Mietwagen auf zweimonatiger (eigentlicher Zugreise) nach China. Kommunikationsproblem: gelöst.
Wir verbringen eine unruhige Nacht an diesem außergewöhnlichen Ort. Wir denken mögliche Szenarien durch. Ein Transport des Fahrzeuges ist nur auf dem LKW eines Spediteurs möglich. Aber was machen wir dann mit unserem Benny. Im Flieger ist keine wirkliche Option. Dem Angebot, ihn dort zu lassen, können wir bei bestem Gewissen ebenfalls nicht zustimmen.
Tag 2: zunächst taucht morgens einer der erwachsenen Söhne auf. Hirte und, man höre und staune, Schweißer. Er fährt mit dem Familienlada in das nächste Dorf, organisiert ein Stromaggregat, ein Schweißgerät, eine Flex und diverses weiteres Werkzeug. Am frühen Nachmittag taucht er wieder auf. Mit mehreren Wagenhebern wird der Landy so hochgebockt, dass die Risse so weit wie möglich geschlossen werden. In unmittelbarer Nähe zu Dieselfiter und Kraftstoff- sowie Stromleitungen wird nun geschweißt und geflext, was das Zeug hält. Zwischenzeitlich brennt das ganze Steppengras unter dem Auto und meine Hand zuckt mehrfach zum bereitgestellten Feuerlöscher. Ich gebe gerne zu: ich bin psychisch am Ende. Und Marion geht es nicht anders. Wir liegen uns in den Armen und hadern mit uns, Gott und der Welt. Es fließen Tränen.
Nach dem Schweißen der deutlich schwerer betroffenen linken Seite ist zunächst Teatime. Ich werde in die Jurte der Familie eingeladen. Ein wirklich besonderes Erlebnis. Marion muss leider mit Benny am Landy ausharren. Danach muss unser Schweißer zunächst einige Stuten melken. Am frühen Abend dann ist das Werk vollbracht. Ob es hält wird die weitere Reise zeigen. Ob wir den Pamir jetzt noch fahren können und auch wollen, wird sich in den nächsten Tagen klären müssen. Wir sind diesbezüglich noch sehr unschlüssig. Zu viel ist die letzten Tage schiefgegangen. Und noch sind nicht alle Probleme gefixt. Auch in Osch müssen wir noch einmal in die Werkstatt.
Aber die Geschichte wäre noch nicht am Ende, wenn wir nicht noch einen schönen Abend mit der Nomadenfamilie, den Franzosen und natürlich der guten Seele Evgeni verbringen dürften. Was für ein Wechselbad der Gefühle.
Was bei dem ganzen fast zu kurz kam: die Landschaft hier gehört zu den schönsten und beeindruckendsten Landschaften, die ich kennenlernen durfte.
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