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Greenroverlandy discover a country that doesn‘t exist.

Prionestrovie, Transdnestrien, Transnistrien, oder doch „Pridnestrowische Moldauische Republik“, wie sich der Staat selbst nennt? Egal wie: dieses Land wird von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Man kann nicht aus Moldawien beziehungsweise der Republik Moldau dahin ausreisen, denn das Land existiert schließlich nicht. Aber man kann einreisen in ein Land mit eigenem Staatsgebiet, eigener Währung, eigenem Militär und eigener Polizei. Mit eigener Flagge und eigener Nationalhymne. Und mit einem eigenen Geheimdienst (angeblich etwa 3.000 ehemalige KGB-Agenten), welchen wir noch kennenlernen sollten. So wie wir auch den Präsidenten trafen. In einem Land, welches aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Nur wenig hat sich seit den Sowjetzeiten dort geändert. Den Fotoapparat lässt man an einigen Orten lieber in der Tasche. Big Brother wartet hinter jeder Ecke. Gefühlt macht man keinen Schritt unbeobachtet. Kurzum: ein Land, welches man eher meiden sollte. Das Auswärtige Amt rät von Reisen ohne einheimische Begleitung ab und weist darauf hin, dass die Deutsche Botschaft von Moldawien dort keine Befugnisse hat. Und eine Einreise mit dem Auto ist eh so verrückt, dass es doch sowieso niemand mit gesundem Menschenverstand machen wird, oder?

Es ist der 05.September 2021, als uns eine streng dreinblickende moldawische Polizistin an einer Straßensperre fragt, wo wir hin wollen. Na wohin schon, diese Straße führt ja nun direkt hinein in das verbotene Land. Ich sage freundlich: Transnistria. Sie lächelt und winkt uns weiter. Einen Kilometer weiter  eine streng bewachte Grenze. Bewaffnete Soldaten. Ein Zöllner, von welchem man nur die Hände durch einen kleinen Schlitz sieht. Reisepässe und Fahrzeugschein wechseln die Seiten. Eine gefühlte Ewigkeit später werden die Dokumente wieder herausgereicht und wir werden weitergewunken zum nächsten Checkpoint. Und so weiter. Da es dem Land untersagt ist, in offiziellen Dokumenten zu stempeln, bekommen wir anders als in Moldawien unsere Einreisedokumente nicht in den Pass gestempelt, sondern auf einem separaten Blatt Papier. Gnade uns Gott, wenn wir das verlieren…  Letztlich erwerben wir noch für ca. 4,-€ eine Straßenvignette und sind drin in dem nicht existierenden Land. Dort wo es nicht einmal Bankautomaten oder Kreditkartenzahlung gibt. Wir tauschen Euros in Pridnestowische Rubel zum Kurs von etwa 1:20. Und tauchen ein in eine Welt, die unsere Vorstellungen noch bei Weitem übersteigen soll.

Wir fahren bis nach Bendery. Dort wurde angeblich eine alte Festung aufwendig restauriert. Der Weg dorthin führt uns an verfallenen Betonbauten aus Sowjetzeiten bis an eine Militärsperre. Sperrgebiet der  Armee. Eine große Kasernenanlage.  Überhaupt: die Armee ist hier allgegenwärtig. Trotz weltweitem Mobilfunkvertrag versagt unser Netz. Google ist somit keine Hilfe. Eine Stunde oder mehr irren wir um das Sperrgebiet herum. Die Militärs mit Stahlhelm, schußsicheren Westen und Kalaschnikow schütteln schon mit dem Kopf. Helfen will uns aber auch niemand. Gerade als wir aufgeben wollen finden wir eine schmale Zufahrt, die wir bisher übersehen hatten. Und landen auf einem großen Schotterplatz vor einer gewaltigen Festungsanlage mit ebenso gewaltiger Kirche. Wir besichtigen die Festungsanlage. Und stellen fest, dass es wohl schwierig wird, einen geeigneten Nachtplatz zu finden. Da es auch schon recht spät geworden ist, fragen wir am Eingang der Festung, ob wir über Nacht dort stehen bleiben können. Ja, das wäre kein Problem, sagt die nette Frau. Und ahnt wohl nicht, welches Staatsdrama sie damit auslöst.  Wir jedenfalls freuen uns auf eine ruhige Nacht in traumhafter Kulisse. Was für ein Irrtum.

6. September 2021: der Präsident, die gesamte Militärführung des Landes, die Polizei und der Geheimdienst, ja selbst der Bombenspürhund: niemand weiß so richtig, wie man mit uns umgehen soll. Was ist passiert?

In den Abendstunden des Vortages leert sich der Parkplatz. Letztlich sind wir allein, trinken erstklassigen moldawischen Rotwein und transnistrischen Cognac in unserer Kabine. In der Nacht kommt im Stundentakt ein Fahrzeug auf den Platz. Jemand steigt aus, geht um das Auto, steigt wieder ein und fährt. Seltsam. Ab 06:00 Uhr morgens dann geschäftiges Treiben. Immer mehr Autos kommen. Alte russische UAZ, Ladas und selbst Wolgas fahren vor. Zuerst mit Militärs in Kampfanzügen, dann weitere in feiner Ausgehuniform. Je weiter die Zeit voran schreitet, desto hochrangiger und ordenbehangener werden die Jungs. Man parkt uns zu. Ein  Bombenspürhund wird unter unser Auto geschickt. Finster dreinblickende Männer in unscheinbarer Alltagskleidung, aber mit Knopf im Ohr und ausgebeulter Jacke haben uns im Auge. Derweil trinken wir Kaffee, frühstücken in unserer Kabine und grüßen jeden neuen Gast freundlich aus dem Wohnkabinenfenster. Nur wenige grüßen dezent zurück. Wir beginnen, uns zunehmend unwohl zu fühlen. Was geht hier vor? Und wie verhalten wir uns richtig? Eines ist sicher: bloß nicht fotografieren. Für die Folgen reicht unser Resturlaub sicher nicht aus.

Wir neigen nach reichlicher Überlegung zur Offensivstrategie: wir steigen aus und mischen uns unter die Menschen. Nahezu alle tragen Uniform. Reichlich aus der Zeit gefallene Uniformen. So kennt man es nur noch aus alten Geschichtsbüchern aus der Zeit des kalten Krieges. Die wenigen Menschen in ziviler Kleidung sind entweder von der Presse (mehrere Fernsehsender sind wohl vor Ort) oder vom „KGB“. Dezent beobachtet man uns. Sind wir vorbei, wird direkt telefoniert oder gefunkt. Wir ahnen ja nicht, dass die Zufahrt zum Fort seit der Nacht gesperrt ist. Und sich niemand außer uns zwei naiver Touristen aus Deutschland ohne Lizenz in diesem Areal herumtreibt. Wir entscheiden uns, zu der etwas links vom Parkplatz stehenden gewaltigen Basilika Alexandr Nevski zu gehen. Scheint uns ein kluger Schachzug. Sehen die Männer mit den Knöpfen in den Ohren aber anders. Denn kurz bevor wir die Kathedrale erreichen, fährt ein Konvoi schwarzer Lexus und Landcruiser vor. Die Encourage, bestehend aus reichlich Security und zwei beeindruckenden Geistlichen in schwarzen Roben und mit gewaltigen Rauschebärten, umrahmt den Präsidenten von Transnistrien, Wadim Krasnoselwski. Zügigen Schrittes marschiert man direkt an uns vorbei, der Präsident grüßt freundlich und verschwindet in der Kathedrale. Ok, dann verschieben wir unseren Gottesbesuch halt auf später.

Wir haben irgendwie nichts mehr zu verlieren. Also setzen wir uns auf eine Bank nur wenige Meter von einer großen errichteten Bühne entfernt. Davor sitzt die gesamte politische und militärische Führung des Landes. Fahnenträger marschieren auf. Der Präsident wird begrüßt, die Nationalhymne gespielt. Über eine Stunde wohnen wir dieser unwirklichen Szenerie bei. Hochrangige Reden voller Nationalstolz werden geschwungen, Orden verliehen, Militärmusik gespielt. Leider verstehen wir kein Wort. Trauen uns aber auch kaum uns zu bewegen. Gefühlt scheint der Grad zwischen Staatsdinner mit dem Präsidenten und feinstem Kerker oder Kugel im Kopf sehr schmal. Ist natürlich Unsinn. Oder? Von den Verhörmethoden des KGB hat meine Generation ja vor Jahrzehnten schon so manches gehört.

Letztlich neigt sich die Veranstaltung dem Ende und wir machen uns auf nach Tiraspol, der Hauptstadt des Landes. Am Folgetag erfahren wir aus den transnistrischen Medien, dass wir der offiziellen Zeremonie zum 30. Jahrestag der Gründung des Militärs beiwohnen durften.

Die nächsten beiden Nächte stehen wir vor dem Hostel „Like Home“ in der Landeshauptstadt. Nach Jahrzehnten mal wieder internationales Jugendherbergsfeeling. Coole Location mit unglaublich netter Herbergsfamilie und einem einzigartigen Frühstück. Besonders hervorzuheben: das legendäre Kaviartoast der örtlichen Störfabrik. Zumindest für mich; Marion sieht das wohl anders ;-). Wir tauchen ein in ein Post-UdSSR-Land, welches seit Jahrzehnten um seine Anerkennung in der Weltgemeinschaft kämpft. Die Straßen sind benannt nach Lenin, Marx, Liebknecht oder wichtigen Revolutionsdaten. Lenin-Statuen und sowjetische Protzbauten wechseln sich ab mit modernen Gebäuden und einer sehr schönen Parkanlage. Vieles wirkt unwirklich, aus der Zeit gefallen. Aber überall, insbesondere bei den Menschen, spürt man Aufbruchsstimmung und den Wunsch nach mehr Anerkennung und Freiheit.

Unser Fazit: ein mehr als lohnenswertes Reiseziel. Bisher gibt es nahezu ausschließlich Tagestouristen, die per Zug nach Tiraspol reisen. Mehrtagestouristen wie wir sind noch sehr selten, nicht zuletzt, weil außerhalb der Hauptstadt Tiraspol kaum touristische Infrastruktur vorhanden ist. Es ist den Menschen zu wünschen, dass sich das ändert. Spasiba, Transnistria.

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